Lan Huan wurde langsam wieder wach. Er drehte sich noch einmal in dem bequemen Bett um. Irgendwie roch sein Bett anders als sonst. Angenehm und vertraut, aber nicht wie zu Hause. Ebenso langsam öffnete er seine Augen und blinzelte. Nur leicht fiel Licht durch die Fenster in den Raum. Es brauchte also eine Weile, bis Lan Huan etwas erkennen konnte. Es war eindeutig nicht sein Zimmer. Vielleicht wäre er nervös geworden, wenn sein Blick nicht auf Jiang Cheng gefallen wäre, der neben ihm auf dem Boden schlief. Oh, dann war dies wahrscheinlich sein Zimmer. Allmählich setzte er sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Seine Hände wanderten zu seiner Stirn und massierten diese ein wenig. Er hatte leichte Kopfschmerzen, als würde jemand von ihnen gegen seine Stirn drücken und ihm war etwas flau im Magen. Als er sich noch einmal in dem Zimmer umsah, bemerkte er auch das Aspirin und Wasserglas auf dem Nachttisch. War das etwas für ihn gedacht? Sein Blick wanderte wieder zu Jiang Cheng, der immer noch schlief. Er war wirklich viel zu freundlich und rücksichtsvoll. Lan Huan nahm die Tablette ein und versuchte sich daran zu erinnern, wie er hier gelandet war. Stück für Stück kamen die Erinnerungen an den Vortag zurück. Oh Götter! Ihm war gleichzeitig warm und kalt. Er schloss die Augen und vergrub sein Gesicht in den Händen. Was hatte er nur alles getan? Da hatte er sich anscheinend ganz schön blamiert. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als er daran dachte, was er alles zu Jiang Cheng gesagt hatte und dass er anscheinend vollkommen vergessen hatte, was persönliche physische Grenzen sind. Es war ein Wunder, dass Jiang Cheng ihn nicht hatte einfach auf der Party stehen lassen. Vor allem, nachdem Lan Huan ihm gesagt hatte, er wäre jetzt sein fester Freund und ihn einfach A-Cheng genannt hatte. Stattdessen hatte Jiang Cheng sich fast liebevoll um ihn gekümmert, bis zum Schluss. Er hatte sich sogar zwischen ihn und Meng Yao gestellt, wofür er ihm über alles dankbar war. Und wenn Lan Huan sich richtig erinnern konnte, hatte Jiang Cheng sich auch noch um Lan Zhan und seinen eigenen Bruder gekümmert. Und wie es aussah, hatte er sogar soweit Rücksicht genommen, dass er selbst auf dem Boden geschlafen hatte, während er Lan Huan sein Bett überlassen hatte. Und anscheinend auch seine Kleidung. Oh. Das bedeutete, er musste ihn umgezogen haben. Wäre Lan Huan nicht schon rot gewesen, wäre er es spätestens jetzt geworden. Lan Huan war von sich selbst ein wenig geschockt. Er hatte Jiang Cheng wirklich zu viel zugemutet. Das könnte er nie wieder gut machen. Bis in alle Ewigkeit würde er sich für diesen Abend entschuldigen müssen und sich dafür bedanken, dass Jiang Cheng so gut auf ihn aufgepasst hatte. Das hieß, wenn Jiang Cheng nach diesem Abend überhaupt noch etwas mit ihm zu tun haben wollte. Hoffentlich würde Jiang Cheng ihm all das nicht allzu übel nehmen. Sie hatten doch gerade erst angefangen sich etwas besser kennenzulernen, da wollte Lan Huan die Freundschaft nicht sofort wieder verlieren. Obwohl er es Jiang Cheng nicht vorhalten könnte. Schließlich war Lan Huan selbst schuld, bei dem ganzen Mist, den er gestern gebaut hatte. Im Moment konnte er nichts weiter tun, als zu hoffen und sich sobald wie möglich zu entschuldigen. Endlich wagte er es wieder aufzusehen. Sein Blick landete erneut auf Jiang Chengs schlafender Figur. Lan Huan fühlte sich schlecht, dass er ihn aus seinem eigenen Bett vertrieben hatte. Im Halbdunkel studierte er Jiang Chengs Geischt und konnte nicht umhin erneut festzustellen, wie attraktiv Jiang Cheng eigentlich war. Er schüttelte leicht den Kopf. Darüber durfte er sich nach dem Fiasko vielleicht erst einmal keine Gedanken machen. Es gab ein paar Sachen, die er nun zu tun hatte. Er konnte schließlich nicht ewig auf Jiang Chengs Bett rumsitzen. Zum Glück hatte sein Handy auch den Weg auf den Nachtisch gefunden. Ein kurzer Blick auf die Zeit verpasste ihm fast einen Schock. Es war 10 vor 6. So lange hatte er nicht dagesessen, um den Abend revue passieren zu lassen. Das bedeutete, er hatte verschlafen. Onkel würde sicher so wütend sein und sich sorgen machen. Leise stand er auf und verließ das Zimmer. Er wollte Jiang Cheng schließlich nicht aufwecken, wenn er gleich ein Telefonat zu führen hatte, für das er sich im Moment eigentlich nicht in der Lage fühlte. Alles wäre gut, wenn Lan Zhan schon angerufen hätte, aber das vermutete er eher nicht. Diesem ging es gestern ja noch schlimmer. Lan Huan wusste nicht ganz, wo er hin sollte. Immerhin war er noch nie im Haus der Jiangs gewesen und er wollte nicht in irgendwelche privaten Räume gehen, in denen ihn niemand haben wollte. Kurz darauf lief er an einer leicht geöffneten Tür vorbei, die anscheinend in die Küche führte. Sein Glück. Das erschien ihm als ein neutraler Ort. Schnell schickte er eine Nachricht an Jiang Cheng, um ihn wissen zu lassen, wo er war. Nicht das dieser gleich aufwachen würde und denken würde, Lan Huan wäre einfach verschwunden, nach allem, was Jiang Cheng für ihn getan hatte. Er nahm sich ein neues Glas mit Wasser und setzte sich an den Küchentisch. Ein Tee wäre ihm lieber gewesen, aber er wollte nicht so dreist sein und sich einfach bedienen oder alles zu durchsuchen, bis er Tee fand. Jetzt konnte er den Anruf nicht weiter herausschieben. Es klingelte erstaunlich lange, bis sein Onkel abnahm “Lan Huan! Wo bist du?”, schrie es fast in sein Ohr. Lan Huan hielt den Hörer etwas von seinem Ohr weg, bevor er antwortete: “Guten Morgen, Onkel. Ich habe bei einem Freund übernachtet. Gestern abend ist es etwas spät geworden und wir dachten es wäre für alle sicherer hier zu bleiben und nicht noch durch die Straßen zu fahren. A-Zhan ist auch hier. Uns geht es gut.” Am anderen Ende herrschte für eine Minute schweigen, bevor Lan Qiren sagte: “Gut, kommt bald nach Hause. Dann besprechen wir das genauer. Wenn ich eure Gesichter sehen!” Damit legte er auch schon wieder auf. Wie sehr ihr Onkel es doch hasste, mit irgendjemandem zu telefonieren, selbst wenn es die eigenen Neffen waren. Er behauptete immer, dass zu einem richtigen Gespräch auch Mimik und Gestik gehörte. Lan Huan seufzte leise und blickte auf sein Glas hinab.
Zur selben Zeit begann auch Lan Zhan wieder an Bewusstsein zu gewinnen. Ihm ging es jedoch sofort viel schlechter. In seinem Kopf herrschte ein Dröhnen. Er hatte das Gefühl, sobald er den Kopf auch nur einen Millimeter bewegte, würde er fallen. Sein Magen rebellierte ebenfalls. Wieso fühlte es sich an, als wäre er von einem Truck überfahren worden? Er blinzelte die Augen auf, nur um sie sofort wieder zusammenzukneifen. Das war viel zu hell. Und wieso war es so warm? Es schien außerdem, als würde etwas schweres auf ihm liegen. Nichts ergab einen Sinn. Er bewegte sich ein wenig und irgendetwas hartes stieß gegen seinen Oberschenkel. Okay, es lag wirklich irgendetwas auf ihm. Warum hatte jemand etwas warmem und schweres auf ihn gelegt? Was war das? Die Augen noch einmal zu öffnen erschien ihm allerdings nicht wie eine gute Idee. Also hob er fast quälend langsam seine Hand und drückte leicht dagegen. Mmh, fühlte sich seltsam an. Überall an seinem Körper fühlte es sich so an, wenn er genauer darüber nachdachte. Dann spürte er den leichten Atem auf seiner Halsbeuge. Panisch riss er die Augen auf. Alles um ihn herum verschwamm und schien nicht still zu stehen. Tränen kamen ihm in die Augen, die er wegblinzelte. Endlich konnte er etwas erkennen. Nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht war Wei Ying. Sein erste Gedanke war, wie hübsch Wei Ying aussah. Doch dann wurde ihm die Situation bewusst. Wei Ying war nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Er lag in einem Bett mit Wei Ying! Und er war nackt. Komplett. Nach dem Hautkontakt und Wei Yings freien Schultern zu Urteilen, war dieser das auch. Das bedeutete, was da in seinen Oberschenkel drückte, konnte nur eine Erektion sein. Für einen Augenblick setzte Lan Zhans Gehirn aus. Abrupt richtete sich Lan Zhan auf und wich zurück, bis er mit dem Kopf gegen die Wand stieß. Er wimmerte kurz auf. Eine neue Welle an Übelkeit überkam ihn und der Raum drehte sich schon wieder, da er sich zu schnell bewegt hatte. Dann machte sich Panik in ihm breit. Wieso lag er nackt mit Wei Ying in einem Bett? Was war passiert? Er versuchte sich krampfhaft zu erinnern. Allerdings kamen nur vereinzelte Fetzten zum Vorschein. Er wusste nicht mehr, was gestern passiert war. Konnte sich keinen Reim darauf machen, wie er hier gelandet war. Lan Zhan ballte die Hände zu Fäusten und schloss die Augen. Es musste doch noch mehr da sein. Das konnte nicht alles fehlen! Die Situation ließ jedoch nicht viele Erklärungen zu. Was machten zwei nackte Menschen normalerweise in einem Bett? Wieso konnte er sich nicht erinnern? Hatte er wirklich mit Wei Ying Sex gehabt? Das konnte nicht sein, oder? Das hätte er nicht so einfach vergessen! Das konnte nicht sein! Aber was war sonst passiert? Sein Gehirn konnte ihm keine Antwort darauf geben. Mit jeder Sekunden wurde er etwas panischer. Vielleicht war es ja nie so weit gekommen und sie hatten nur… nur was? Geküsst? Gekuschelt? Dafür musste man doch nicht die Sachen komplett entfernen. Und auch daran würde sich Lan Zhan gerne erinnern. Er fühlte sich gerade schrecklich. Wie konnte er vergessen, was er getan hatte? Was er mit Wei Ying getan hatte? Wenn sie auf irgendeine Weise Intim waren, würde er das sehr gerne wissen. Es wäre sein erster Kuss gewesen. Von allem anderen mal ganz zu schweigen. Und er hatte es einfach vergessen; konnte sich an nichts erinnern. Das letzte, was er klar wusste war, dass Wei Ying ihn aus dem Haus der Jins geführt hatte.
An dem Abend davor, waren Xue Yang und Xiao Xingchen noch etwas länger unterwegs. Xue Yang's Herzschlag setzte für einen Moment aus, als er hörte, dass dieses Essen wohl doch an eine Gegenleistung gebunden war. Er hatte zwar damit gerechnet, aber es war immer noch mal etwas anderes seine Vermutung bestätigt zu bekommen. Fast wäre er einen Schritt von Xiao Xingchen zurückgegangen, als dieser schon die Bedingungen sagte. Ein Scherz. Es war nichts weiter als ein Scherz gewesen. Natürlich, es war Xiao Xingchen. Für einen Moment hatte er tatsächlich vergessen, dass man diesen nicht unbedingt in dieselbe Kategorie die den Rest des Welt stecken konnte. “Nun, dass würde sich doch einrichten lassen. Wieso hab ich das Gefühl, dass mir bei diesem Deal alles zu gute kommt?”, lächelte er leicht schief. Trotz der Absicherung, fühlte es sich seltsam an Essen an dem Tresen zu bestellen. Er wählte den billigsten Burger den sie hatten und - weil Xiao Xingchen darauf bestanden hatte - noch Pommes und einen Milchshake. Xue Yang wusste nicht ganz, wie er sich dabei fühlen sollte. Irgendwie war es angenehm und so ungewohnt, nicht nur überhaupt Essen einfach so zu bestellen, sondern auch, dass ihm jemand genug mochte, um für ihn zu bezahlen. Auch wenn Xue Yangs Stolz ein wenig verletzt war, weil er auf so etwas angewiesen war. Er blickte ebenfalls nach draußen, als plötzlich so viele Leute reingestürmt kamen. Über Xiao Xingchens Kommentar kicherte er ein wenig: “Ja, sieht ganz so aus. Obwohl wir dann vielleicht nicht dahin sollten, es sei denn du möchtest länger im Regen stehen. Ich hatte eigentlich nicht vor irgendwo reinzugehen. Vielleicht sollten wir etwas umplanen”, überlegte er laut.